Werbeagenturen auf dem Weg zum Kümmerer!

Redet man von einer Werbeagentur, tauchen die bekannten Begriffe auf: Corporate Design, Website, Social Media, Flyer oder Imagefilm. Der Kunde beauftragt „seine“ Agentur, diese setzt alles um, stellt die Rechnung und freut sich über einen gelungenen Gesamtauftritt ihres Kunden. Doch reicht das alles aus, um einen wirklichen Mehrwert zu generieren? Braucht es nicht längst ein neues Verständnis bei der Frage, wie eine langfristige beiderseitige Wertschöpfung entsteht? Eine, die nicht erst seit gestern über ihr „Kundenbeziehungs-Management“ nachdenkt, ist die Agentur-Chefin Christine Anwander aus dem oberbayerischen Unterneukirchen. Was sie anders macht und welche Anforderungen sie an Gründerinnen und Gründer stellt, die zu ihr kommen? Unser Autor Emil Hofmann hat sie einfach mal gefragt.

GM: Webdesign, Programmierung, Social Media Marketing. Leistungen, mit denen ja auch Sie werben und die man im Zuge einer Gründung mehr oder weniger braucht. Das sind sicher gleichzeitig die Vorgaben, die Sie von Ihren Kunden auf den Tisch bekommen, oder?

Christine Anwander: Ja, das ist meistens so. Fast alle Gründerinnen und Gründer haben eine bestimmte Vorstellung, wenn es um ihr Logo geht, sie haben andere Websites studiert und Vorlieben für Farben und Formen entwickelt. Oft bringen sie auch Bilder mit, technische Beschreibungen und Skizzen. Alles nach dem Motto: Ich brauche einen g’scheiten Auftritt.

GM: Und dann machen Sie sich an die Arbeit.

Christine Anwander: Genau das mache ich nicht. Und damit sorge ich schon auch manchmal für ein Kopfschütteln und in gewisser Weise auch für eine Enttäuschung, die jedoch schnell wieder verfliegt – spätestens nach der dritten Tasse Kaffee.

Bevor es an die Kommunikationskanäle geht und lange bevor wir über einzelne Maßnahmen und die Umsetzung reden, will ich von den Gründungsunternehmen sehr viel wissen. Und das ist weit mehr als auf eine übliche Checkliste passt. Es ist in dieser Phase oft eine freundschaftliche Unterhaltung, in deren Verlauf ich viel erfahre über die Wunschkunden, die Ziele, aber auch die Ängste und Sorgen, die es im Zuge der Gründung bekanntlich gibt.

GM: Legen Sie den start up Unternehmen dann nicht die ganze Palette von Möglichkeiten vor, die man heute kennt, um die Märkte zu erreichen und sich im richtigen Licht zu zeigen?

Christine Anwander: Das führt nur zu einer Verwirrung, denn der heute zur Verfügung stehende Werkzeugkoffer ist so umfangreich und komplex, dass man jeden Kunden nur erschrecken würde. Natürlich zeige ich Beispiele und gehe auf die einzelnen Bausteine ein, aber in dieser Phase der Zusammenarbeit geht es um was anderes.

GM: Verraten Sie es uns bitte.

Christine Anwander: Es geht darum, als Coach und Kümmerer akzeptiert zu werden, als jemand, der den Erfolg genau so will wie der Kunde selbst. Und da reicht es nicht, bestimmte Agenturleistungen zu stricken oder eine neue Website zu programmieren. Für mich ist in dieser Phase wichtig, das Kommunikationsverhalten der künftigen Kunden zu kennen. Welche Kanäle nutzen sie und warum? Wie steht es mit der Reichweite in der Zielgruppe? Wie alt sind die künftigen Kunden im Durchschnitt? Welche Kaufkraft haben sie? Wo und wie wohnen sie? Diese Fragen darf ich zum Großteil nicht dem Kunden stellen, die muss ich selbst recherchieren und dann auch beantworten.

GM: Damit erschrecken Sie aber Viele, oder?

Christine Anwander: Manchmal schon. Gründer neigen nicht selten dazu, ihre Märkte zu überschätzen. Ein Shop auf der Website macht allein für sich noch keinen Umsatz, wenn er nicht über die passenden Kanäle mit Klicks erfüllt wird. Also diskutieren wir jetzt auch Themen wie Video-Marketing, machen einen Ausflug in die analoge Welt der Pressemitteilungen oder beschäftigen uns mit TikTok. Am Ende ist es der Mix, der zum Erfolg führt – immer unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit.

GM: Wie entsteht nun das Marketing- und Kommunikations-Paket für den Kunden?

Christine Anwander: Intern muss ich mir Gedanken machen, wen ich aus meinem Netzwerk für die Umsetzung brauche. Das kann ein Texter sein oder ein Tontechniker. Auch der Event-Manager kann zum Zug kommen genau wie der Illustrator und der Programmierer. Extern muss ich weiterhin mögliche Märkte meines Kunden analysieren, ich muss recherchieren und auch ein worst case Szenario skizzieren, selbst wenn kein Gründer das gerne liest. Aber wie gesagt: Beide Seiten wollen den Erfolg. Und erst jetzt folgt das detaillierte Angebot mit den entsprechenden Empfehlungen, wobei es immer um sinnvolle Module geht, die nicht zwingend alle auf einmal eingesetzt werden müssen.

GM: Und dann hofft man auf ein zufriedenes Gründungsunternehmen, das auch die Rechnung bezahlt.

Christine Anwander: Das ist vielleicht in vielen Fällen heute noch so. Zumindest hören wir es immer wieder. Wir sehen genau hier die Kernfrage oder das Selbstverständnis eines guten Agenturpartners. Wie versteht der sich jetzt und später? Ist er der Lieferant einer Website oder eines Logo-Entwurfs oder wird er zum Coach und Begleiter seines Kunden? Ist er ein wirklicher Kümmerer, der ständig nach Optimierungen Ausschau hält und Tipps gibt? Hat er Augen und Ohren am Markt? Bewahrt er seinen Kunden vor Fehlentscheidungen, wenn es um Werbung und Marketing im Allgemeinen geht?

GM: Wie sollte eine Gründerin oder ein Gründer vorgehen, wenn sich die Frage nach einer Agentur stellt?

Christine Anwander: Auch wenn es gebetsmühlenhaft klingt. Man sollte nie versuchen, alles alleine machen zu wollen. Wer in der Startphase auf die fachkundige Unterstützung einer Agentur verzichtet, zahlt am Ende drauf. Natürlich muss die „Chemie“ stimmen, denn man arbeitet ja hoffentlich länger zusammen. Man muss einander vertrauen. Die Agentur muss auch wissen, dass man in der Startphase keine allzu großen Budgets zur Verfügung hat und rechnen muss. Ob Web-Design oder Social Media Kampagne: Es schadet nie, wenn man mehrere Angebote vergleicht. Manche Agenturen bieten spezielle Gründer-Pakete an, die preislich interessant sind und mit denen man in der

Regel auch nicht schlecht fährt. Allerdings muss man ausloten, ob man die Paket-Inhalte auch wirklich braucht. Was die Marketingbausteine allgemein angeht, ist nicht alles sinnvoll, was man heute als „modern und zeitgemäß“ beschreibt. Wer bevorzugt Senioren als seine Zielgruppe sieht, wird sich auch mit analogen Werkzeugen auseinandersetzen. Aktuell erlebe ich das bei einem meiner Gründer-Kunden. Der setzt hoch erfolgreich einen Newsletter ein, den er per Post verschickt. Die Reaktionen geben ihm Recht – eine bessere Kundenbindung kann er nicht haben. Und wenn er neue Mitarbeiter sucht, gestalte ich ihm eine Anzeige für die regionale Tageszeitung. Hier gilt der alte Spruch aus dem Lehrbuch: Es gibt keine guten und schlechten Kommunikationswege, sondern nur richtige und falsche.

GM: Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch.

INFO-BOXX

Fragen und Grundregeln für die Zusammenarbeit mit einer Werbeagentur:

  • Prüfen Sie, ob die Agentur „auf Ihrer Wellenlänge“ ist. Versteht man, was Sie (erreichen) wollen und welche Ziele Sie mittel- und langfristig verfolgen?
  • Nimmt sich die Agentur die nötige Zeit, um sich in Ihr Thema bzw. Ihre Leistungen einzudenken? Haben Sie ein gutes Gefühl beim ersten gemeinsamen „Spinnen“?
  • Haben Sie einen festen und persönlichen Ansprechpartner in der Agentur, der für Sie erreichbar ist und der alle Aufgaben und Arbeiten termingerecht koordiniert?
  • Ist das Angebot der Agentur im Vergleich zu anderen preiswürdig und damit annehmbar? Ist das Angebot transparent und verständlich formuliert?
  • Vertrauen Sie Ihrer Agentur und deren Expertise, auch wenn Sie vielleicht zum Teil eine andere Vorstellung von Marketing und Werbung haben sollten.

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